Pop-up Radwege zum Teil “nicht gesetzeskonform” meint Verkehrsexperte
Verkehrsexperte Univ.Prof. DI Dr. Ernst Pfleger läßt in einem kürzlich geführten Interview aufhorchen. Er nimmt Bezug auf die StVO und erklärt, dass die Pop-up-Radwege nicht gesetzeskonform sind. Wir haben Vizebürgermeisterin Hebein und die Bezirksvorsteherin des 9. Bezirks, Saya Ahmad, damit konfrontiert.
Eigentlich ging es im podcast des Kurier um die steigenden Unfallzahlen bei Radfahrern. Wer sich den Beitrag angehört hat, war vielleicht sehr überrascht. Der renommierte Verkehrsexperte Ernst Pfleger nahm sich ausreichend Zeit, einige der umstrittenen Pop-up-Radwege zu kommentieren.
Falsche Abwägung der Behörden
Pfleger, der seit einiger Zeit ein Gegeneinander statt Miteinander im Straßenverkehr beobachtet, möchte sowohl den Fußgänger- als auch Radverkehr fördern, ohne aber auch den KfZ-Verkehr aus den Augen zu verlieren. Im Kurier-podcast bekräftigt er das mit “Ein dreifaches Ja zum Radverkehr”.
Die Pop-up-Radwege sieht er jedoch kritisch und bezieht sich auf den Paragraph 43 (s.u.) der Straßenverkehrsordnung. Hier muß die Behörde abwägen, ob eine bestimmte Maßnahme aufgrund der Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des Verkehrs erforderlich ist.
Zum Pop-up-Radweg in der Hörlgasse meint er: “Nehmen wir die Hörlgasse her, dort ist schon Tempo 30 verhandelt. Das heißt, die Verkehrssicherheit ist schon aufgrund der geringen Fahrgeschwindigkeit gegeben. Ich war mehrmals draußen, hab die Untersuchungen gemacht, hab festgestellt, dass nahezu keine Radfahrer sind. Das heißt, de facto ist der § 43 der StVO gar nicht erfüllt.”
Den Pop-up-Radweg in der Praterstraße kommentiert er wie folgt: “Die Praterstraße hat einen Radweg, der grundsätzlich sehr kleinräumig ist, aber da doch schon sehr viele Radfahrer aufnehmen kann. Wenn ich jetzt zusätzlich zu diesem Radweg eine Fahrspur sperre und es fährt niemand auf dieser gesperrten Fahrspur dann ist auch hier der § 43 nicht erfüllt, das heißt, ich behaupte sogar, dass dieser Pop-up-Radweg nicht gesetzeskonform ist.“
Problematisch sieht er auch die Pop-up-Radwege in der Lasallestraße stadtauswärts und der Wagramer Straße stadteinwärts.
Weiters spricht er sich nicht gegen Verkehrsmaßnahmen aus, man braucht aber intelligente, moderne Verkehrsmaßnahmen für den Radfahrverkehr und auch mehr Einsatz der Technik wie zB den Einsatz von LEDs bei Radüberwegungen.
§ 43 StVO (1) 1960 Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen…
(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung
(b) wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert,
1. dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote, insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, Maß-, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halte- oder Parkverbote und dergleichen, zu erlassen,
2. insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, Maß-, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halte- oder Parkverbote und dergleichen, zu erlassen,
ad personam Ernst Pfleger
Univ.Prof. DI Dr. Ernst Pfleger ist österreichischer Verkehrswissenschafter und österr. Vorsitzender der Europäischen Vereinigung für Unfallforschung und Unfallanalyse. Er studierte Kulturtechnik und Wasserwirtschaft an der Universität für Bodenkultur in Wien sowie Verkehrsplanung, Statistik und EDV an der TU Wien.
Pfleger war Leiter der MA46 (Verkehrsorganisation und technische Verkehrsangelegenheiten) und Verkehrssicherheitsbeauftragter der Stadt Wien. Er ist allgemein beeideter gerichtlicher Sachverständiger für Verkehrssicherheit und arbeitet u.a. Lektor am Institut für Verkehrswesen der BOKU.
Warnung vor weitreichenden Konsequenzen
Das meint der Verkehrsexperte der TU Wien, Ulrich Leth, zur Rechtsansicht von Pfleger. Leth fordert als Sprecher der Initiative ‘Platz für Wien‘ u.a. die Einbeziehung der Aufenthaltsfunktion in die StVO (also Schwächung der Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs).
Büro Hebein: Pop-up-Radwege sind rechtskonform
Konfrontiert mit der Aussage von Pfleger meint das Büro von Vbgm.in Hebein zu stadtpolitik.wien:
Hinsichtlich der rechtlichen Grundlage erklärt man: “Die Verordnung ist auf Basis des § 44a StVO (Vorbereitende Verkehrsmaßnahmen) erfolgt.”
§ 44a StVO 1960 Vorbereitende Verkehrsmaßnahmen
(1) Wenn auf Grund von Verkehrsbeobachtungen, Verkehrszählungen oder Verkehrserfahrungen aus Anlaß vorhersehbarer Ereignisse oder Umstände Verkehrsverhältnisse zu erwarten sind, für deren Bewältigung besondere Verkehrsmaßnahmen (Verkehrsverbote, Verkehrsbeschränkungen, Verkehrserleichterungen) notwendig sind, hat die Behörde diese unter Bedachtnahme auf die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des sich bewegenden und die Ordnung des ruhenden Verkehrs durch Verordnung zu bestimmen.
(2) Die Verordnung nach Abs. 1 hat zu enthalten:
(a) Die Bestimmung der Strecke, auf der die Verkehrsmaßnahmen wirksam werden sollen,
(b) die Festsetzung der Zeiten, in denen die Verkehrsmaßnahmen wirksam werden sollen,
(c) die Voraussetzungen, unter denen die Verkehrsmaßnahmen wirksam werden sollen,
(d) die in Betracht kommenden Verkehrsmaßnahmen, wie Geschwindigkeitsbeschränkungen, Fahrverbote, Einfahrtverbote, Beschränkungen für Halten und Parken, Einbahnregelungen, Ausnahmen von bestehenden Verkehrsverboten oder Verkehrsbeschränkungen u. dgl.
(3) Verordnungen nach Abs. 1 treten mit der Anbringung oder Sichtbarmachung der ihnen entsprechenden Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen in Kraft. Die Behörde hat die Person, Dienststelle oder Unternehmung zu bestimmen, welche die Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen anzubringen oder sichtbar zu machen hat. Die Aufstellung oder Sichtbarmachung der Straßenverkehrszeichen oder die Anbringung der Bodenmarkierungen ist der Behörde unverzüglich zur Kenntnis zu bringen; diese hat den Zeitpunkt der erfolgten Anbringung oder Sichtbarmachung in einem Aktenvermerk (§ 16 AVG) festzuhalten.
Ferner erläutert das Büro Hebein die Zuständigkeiten: “Die Befugnis ergibt sich aus der Straßenverkehrsordnung §94b (Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde) und 94d (Eigener Wirkungsbereich der Gemeinde), daher hat die MA 46 als Behörde die Verordnung erlassen.”
Die für die Hörlgasse zuständige Bezirksvorsteherin des 9. Bezirks, Saya Ahmad, vertraut darauf, “dass unsere Expert*innen nicht nur die Gesetzeslage kennen, sondern auch immer die sicherste Lösung im Blick haben.“