Die gestern veröffentlichte Statistik der Verkehrsmittelwahl (Modal Split) für Wien sorgt für Kopfschütteln in der Fachwelt und heftige politische Reaktionen. Grund: die Zahlen passen nicht und das ist ein Problem, denn die jährliche Auswertung ist die Grundlage für politische Entscheidungen und Kontrolle für gesetzte Maßnahmen.
Wir schreiben verkehrspolitische Halbzeit: 2014 wurden die langfristigen Ziele für die Entwicklung der Stadt beschlossen. Im Stadtentwicklungsplan 2025 inkludiert ist das Fachkonzept Mobilität. Die Wienerinnen und Wiener sollen dann 80 Prozent ihrer Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln, auf dem Rad oder zu Fuß zurücklegen, der Autoverkehr soll demnach auf 20% zurückgedrängt werden.
Dieser Modal Split wird jährlich im Februar veröffentlicht und dient als roter Faden zur Erreichung des Ziels. Fehlentwicklungen versucht man durch gezielte Maßnahmen zu beseitigen, wie etwa vergangenes Jahr, als ein gestiegener KfZ-Anteil eine Debatte über die Einführung der City-Maut auslöste.
Der Modal Split bildet das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung ab und wird als wichtigste verkehrspolitische Kennzahl jährlich im Auftrag der Wiener Linien erhoben. Kategorisiert wird die Verkehrsmittelwahl in öffentlichen Verkehr, PKW, Fußweg und Radfahren. Seit 1993 sind deutliche Veränderungen insb. zugunsten des öffentlichen Verkehrs festzustellen.
Erfaßt wird die Wahl des Hauptverkehrsmittels, erklärt DI Dr. Harald Frey vom Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien gegenüber Stadtpolitik und ergänzt, dass bis vor kurzem der Modal Split die Verkehrsstrukturen prinzipiell gut abgebildet hat.
Quelle: Wiener Linien / Bild: bildstrecke.at
Spielen sich jährliche Veränderungen maximal im Bereich von +/- 1 bis 2 Prozentpunkten ab, zeigt die strukturelle Änderung 2019 vs. 2018 einen Rückgang bei den KfZ zugunsten der Fußgänger um ganze 4 %punkte.
Quelle/Zusammenstellung: DI Sebastian Beiglböck
Petra Jens ist Wiens Fußgängerbeauftragte und wir haben sie gefragt, wie sie diese Entwicklung erklären kann. Sie zeigt sich überrascht, dass der Anteil der Fußgänger mit 30% so hoch ist wie zuletzt in den 70er Jahren. Klarerweise freut sie sich über diese Entwicklung, merkt aber an, dass eine Änderung von 4 %punkten eine dramatische Veränderung darstellt. Eine Trendwende in diesem Ausmaß hält sie dann doch eher für hinterfragenswert, wie sie sowohl am Telefon als auch per facebook mitteilt.
Harald Frey ist deutlich: “Das ist nicht die Realität, die jetzt abgebildet worden ist.” Anhand dieses Beispiels erklärt er, wie ein Zuwachs von 4 %punkten erreicht hätte werden können: “Die gesamten Bezirke 6 bis 9 hätten eine Fußgängerzone werden müssen.” Die gesetzten Maßnahmen allerdings hätten diesen Anstieg nicht verursachen können. Dem Indikator Modal Split ist durch diese unerklärliche Veränderung ein Bärendienst erwiesen worden.
Der Begriff Black Box fällt praktisch bei jedem Telefonat und bezieht sich auf die Transparenz der Erhebung. Die Methodik wird ebensowenig preisgegeben wie Rohdaten oder Detailauswertungen. Ein A4 Zettel muss reichen. Das gilt nicht nur für die breite Öffentlichkeit und Journalisten, auch die Fußgängerbeauftragte Petra Jens hat etwa keine weiteren Auswertungen zur Verfügung. Das überrascht dann doch sehr.
Natürlich habe ich auch bei den Wiener Linien nachgefragt. Laut Auskunft einer Pressesprecherin gab es keinen Methodenbruch bei der Erhebung – aber eine Verdoppelung der Befragten: statt 2.000 Personen wie in den vergangenen Jahren wurden 4.000 befragt. Das ausführende Befragungsinstitut heißt Omnitrend.
Zur Anomalie der Daten gibt es keine weiteren Auskünfte bzw. Detailanalysen. Rohdaten werden nicht zur Verfügung gestellt. Wie mit dem Thema E-Scooter umgegangen wurde, konnte man mir nicht sagen (es wäre ja interessant in welche Kategorie diese fallen).
Als einzige Fraktion reagierten die Neos in einer Aussendung auf die Veröffentlichung des neuen Modal Splits. Vize-Klubobfrau und Verkehrssprecherin Bettina Emmerling zeigte sich im Telefonat mit Stadtpolitik bestürzt über die fragwürdigen Zahlen:
“Offensichtlich versucht man sich durch dubiose Zahlentricksereien seine eigens auferlegten Ziele zu erschummeln.
Gleichzeitig stellt man sich selbst den Persilschein aus, um weiter untätig bei den großen Mobilitätsforderungen zu bleiben.”
Für Vize-Bürgermeisterin Birgit Hebein war das Resultat ein Grund zur Freude. Auch Öffi-Stadträtin Ulli Sima zeigte sich über die positive Entwicklung erfreut, wie auf der Website der Wiener Linien nachzulesen ist. Bezeichnend, dass hier auch fälschlicherweise von Prozenten gesprochen wird: “Der PKW-Verkehr in Wien ist laut Modal Split um 4 Prozent (sic!) zum Vorjahr gesunken.”
Das Büro von Stadträtin Ulli Sima wurde um Reaktion ersucht, die bis Redaktionsschluß nicht vorlag.
Gleichzeitig mit dem Modal Split 2019 wurde traditionsgemäß auch die Entwicklung der Jahreskartenbesitzer veröffentlicht. 30.000 Karten sind seit 2018 dazugekommen. Auch hier bleibt ein schaler Nachgeschmack übrig, nachdem der Verkehrsexperte der TU Wien, DI Ulrich Leth die fehlerhafte Darstellung des Diagramms auf Twitter publik machte.
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